Backstein, Moorfunde und Wikinger
Die Herbstexkursion 2014 der Gesellschaft für Archäologie in Bayern führte von Lüneburg über Ratzeburg zur Wikinger-Handelsstadt Haithabu bei Schleswig
"Haithabu ist eine sehr große Stadt am äußersten Ende des Weltmeeres", so beschreibt Ibrahim Ibn Ahmed At-Tartûschi um 965 n. Chr. eines der bedeutendsten Handelszentren des 9. und 10. Jhs. in Nordeuropa. Die Siedlung aus der Zeit der Wikinger war das nördlichste Ziel der vier Tage dauernden Herbstexkursion 2014 mit der Gesellschaft für Archäologie und sollte einer der Höhepunkt werden.
Am Ende des ersten Reisetages jedoch kehrten wir nach einer langen Busfahrt erst einmal im Hotel „Altes Kaufhaus“ mit seinem barocken Giebel aus dem 16. Jh. ein. Direkt auf den alten Hafenmauern am Ufer der Ilmenau in Lüneburgs historischem Wasserviertel gelegen, war es der ideale Ausgangspunkt für einen Stadtrundgang mit Prof. Dr. Edgar Ring, dem Stadtarchäologen und Kurator im Museum Lüneburg. Die alte Salz- und Hansestadt mit ihren Backsteinbauten aus der Gotik und der Renaissance erstrahlte bereits im abendlichen Lampenschein.
Das Rathaus mit Gerichtslaube, Ratsbörse und dem „Neuen Ratssaal“ aus der Zeit der Renaissance repräsentiert den Glanz einer durch Sülfmeister und Bierbrauer reich gewordenen Vergangenheit. Ein Zollprivileg Ottos I. aus dem Jahre 956 belegt den Namen der Stadt „Luniburc“, ein Kloster „monasterium sancti Michaelis“ und die „salina“. Spätestens seit dem 12. Jh. bestimmte die Salzgewinnung in der Saline Lüneburg das Leben dieser Stadt. Sehr passend kehrten wir denn auch spät am Abend noch ins zünftige Mälzer Brau- und Tafelhaus ein, um uns zu stärken für den kommenden Tag.
Die wirtschaftsgeografisch verkehrsgünstige Lage machte Bardowick, unser erstes Ziel am zweiten Reisetag, schon um 800 zum zentralen Umschlagplatz für den Ost-West, sowie Nord-Süd-Handel und zum Ausgangspunkt für den Fernhandel mit den Slawen. Erst ab Bardowick war die Ilmenau schiffbar und stellte über die Elbe die Verbindung zum offenen Meer dar. Auch in politischer und kirchlicher Hinsicht erlangte Bardowick im 9. und 10. Jh. große Bedeutung, bis dann Heinrich der Löwe Herzog von Sachsen wurde und Lübeck mit der Übernahme der Stadtrechte zunehmend Bardowicks Rolle übernahm.
Am Rand des heute landwirtschaftlich geprägten, kleinen Ortes liegt das St. Nikolaihospital, die mittelalterliche Leproserie der Stadt Lüneburg. Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1251, die erhaltene Bausubstanz reicht bis ins beginnende 14. Jh. zurück. Den Mittelpunkt der Anlage bildet die in Backstein errichtete Kapelle, um die sich auch heute noch mehrere Wohn-, Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude gruppieren. Das älteste noch erhaltene Gebäude ist das 1312 errichtete sogenannte „Alte Männerhaus“. Bis ins 19. Jh. gehörten auch eine Brauerei und ein Backhaus zum Ensemble.
Auf unserem Weg weiter nach Norden besuchten wir auch die kleine Stadt Mölln mit einer sehr imposanten ebenfalls St. Nikolaus von Myra geweihten, dreischiffigen Pfeilerbasilika der Backsteinromanik. Die wenigsten von uns haben gewusst, dass die vermutlich doch historische Figur des Till Eulenspiegel hier in Mölln im Jahre 1350, angeblich an der Pest, starb.
Allen Exkursionsteilnehmern wenigstens namentlich bekannt hingegen war unsere nächste Station: Ratzeburg, in erster Linie allerdings wegen seines berühmten Ruderclubs. Auf einer Insel mitten im Ratzeburger See liegen die Altstadt und der Dom. Der Name der Stadt geht zurück auf den Fürsten Ratibor, der an der Spitze eines Teilstammes der Polaben stand. Er residierte hier im frühen 11. Jh. in einer Ringwallanlage. Stadtgründung, Etablierung des Bistums und Stiftung des Doms erfolgten 1154 durch Heinrich den Löwen. Eine Replik des Braunschweiger Löwen auf dem Domplatz erinnert daran. Dieser zweite Reisetag endete schon in Sichtweite auf die Ziele des nächsten Tages in einem Hotel mit Blick auf die Schlei und schon ganz auf dem Gebiet der Wikinger.
Schleswig wurde 804 erstmals als Sliasthorp erwähnt. Die Endung „thorp“ bedeutet Dorf und verweist darauf, dass es sich um eine Nebensiedlung handelt. Von Haithabu? Sicher ist, dass die Siedlung Haithabu am Haddebyer Noor von König Gudfred 808 zum Handelsplatz ausgebaut wurde. Um 900 erobern die schwedischen Wikinger unter König Olaf das Gebiet. Im Jahre 934 jedoch schlägt der ostfränkische König Heinrich I. den Sohn von Olaf und macht Haithabu tributpflichtig. Dann erobert 983 der dänische Wikingerkönig Harald Blauzahn das Gebiet und nach einer kurzen aber wechselvollen Geschichte wird Haithabu 1066 von Slawen zerstört. Jetzt konnte Schleswig das Erbe Haithabus als Zentrum des nordeuropäischen Handels übernehmen. Die Frage, ob nun Schleswig oder Haithabu älter ist, wird immer noch kontrovers diskutiert. Die Gegend um Schleswig und Haithabu war auch vor den Wikingern schon besiedelt. Im Umfeld des Nydam-Moores sind zahlreiche Fundstellen, auch Siedlungen, der Jüngeren Römischen Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit bekannt.
Einer der bedeutendsten Funde ist das Nydam-Boot, das vor 150 Jahren entdeckt und ausgegraben worden ist und dem das Archäologische Museum Schleswig deshalb eine neu konzipierte Ausstellung mit dem Motto „versenkt – entdeckt – erforscht“ widmet. Das Alter von 1700 Jahren und sein Erhaltungszustand sind beeindruckend. Viele Details an diesem einzigartigen Ruderfahrzeug aus der norddeutschen „Eisenzeit“ und die erhaltene Bootsausrüstung sind außergewöhnlich. Das Boot war ohne Zerstörung im Moor niedergelegt worden. Heute beschäftigt sich die Forschung vor allem mit schiffsbautechnischen Aspekten des Bootes und den Umständen seiner Versenkung. Die Bauart steht für den Beginn einer neuen Technik im Plankenschiffsbau Norddeutschlands. Inspiriert vermutlich auch vom römischen Bootsbau verwendeten die Schiffsbauer erstmals Eisennieten zum Befestigen der Planken bei der sogenannten Klinkerbauweise. Wir hatten das große Glück von der Kuratorin selbst, Frau Dr. Abegg-Wigg, durch die Ausstellung geführt zu werden.
Der Nachmittag gehörte dann ganz den Wikingern. Nach kurzer Fahrt erreichten wir das Wikinger Museum Haithabu. Eine Vielzahl von einzigartigen Exponaten, die vom Handwerk und Handel in der frühmittelalterliche Stadt zeugen, werden in den Vitrinen präsentiert und im historischen Kontext erläutert. Das königliche Schiff aus dem Hafen war einst das schnellste Schiff auf der Ostsee und steht nun in der großen Schiffshalle des Museums.
Ein kurzer Spazierweg führte uns zum Halbkreiswall, der zum Schutz des Handelszentrums errichtet worden war. Die nach originalen Baubefunden rekonstruierten Wikingerhäuser mit lehmverputzten Außenwänden, die schmalen Bohlenwege und der Landungssteg im Hafen gewährten Einblicke in die Lebensverhältnisse der Menschen vor 1000 Jahren. Man konnte auch bestaunen, wie ein Bootsbauer früher arbeitete An den Halbkreiswall schließt nach Westen das umfangreiche Verteidigungssystem des Danewerks an, das einen Riegel zwischen Ost- und Nordsee bildet. Der Hauptwall mit dem Tor nach Norden in der Feldsteinmauer von 737, der Burgwall Thyraburg, die Ruine der um 1170 erbauten Waldemarsmauer und die Schanze 14 von 1984 belegen mehr als ein Jahrtausend Grenzbefestigung.
Es war eine Reise voller dichter Eindrücke und Einblicke in die Geschichte Norddeutschlands, ja Nordeuropas, die Willi Wagner für die Gesellschaft für Archäologie zusammengestellt hatte. Auch diesmal hätte man noch sehr gerne an dem einen oder anderen Ort länger verweilt, wie immer haben wir uns geschworen, da noch einmal hinzufahren. Sehr gerne danken wir dem Organisator und freuen uns auf die nächste Exkursion mit der Gesellschaft für Archäologie.
Gisela Mahnkopf