Der Biss der Säbelzahnkatze...
Exkursion nach Norddeutschland 2016
Wildpferde weiden, einige schwarze Jurten ducken sich ins Gras. Vor dem grauen, wolkenverhangenen Himmel kaum erkennbar liegt ein großes, sehr zeitgemäß gestaltetes Gebäude wie ein Kristall in der weiten Landschaft Niedersachsens.
Wir sind nach langer Fahrt im Braunkohlerevier und im Forschungs- und Erlebniszentrum von Schöningen, dem paläon, angekommen. Seit 1983 werden hier im Vorfeld des Schöninger Tagebaus Rettungsgrabungen durchgeführt. Die Entdeckung mehrerer vollständig erhaltener Holzartefakte aus der Altsteinzeit ist eine Weltsensation. Die Schöninger Speere sind etwa 300.000 Jahre alt und gelten als die ältesten bisher erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit. Im paläon werden sie gebührend in Szene gesetzt. Künstlerisch gestaltete Szenen erlauben einen tiefen Einblick in die Geschichte der Menschen von Nordeuropa im Wechsel von Warm- und Kaltzeiten. Man kann sehr gut nachvollziehen, wie und wo der Homo heidelbergiensis gelebt und gejagt hat. Er war dem modernen Menschen wohl weit näher als bisher angenommen. Ganz offensichtlich besaß er bereits technologische Fertigkeiten und Kommunikationsvermögen, er war in der Lage sein Handeln zu planen, er verfolgte ausgefeilte Jagdstrategien und hatte ein komplexes Sozialgefüge. Und mit Sicherheit wusste er besser als wir, wie und wo der Säbelzahntiger mit den langen Eckzähnen seinen tödlichen Biss ansetzt!
Wir jedoch haben heute nochmal Glück gehabt und kommen spät am Abend, aber ungefährdet, in unserem schicken Hotel „Hamburg Hafen“ im Zentrum von Hamburg an.
Der nächste Tag beginnt durchaus hanseatisch. Unsere Barkasse liegt schon am Kai, die Skipper, Vater und Sohn, nehmen uns auf und los geht’s zur ausgedehnten Rundfahrt durch Nicolai-Fleet und Speicherstadt mit ihren mächtigen roten Klinkerbauten. Der Wasserstand zwischen Ebbe und Flut ist ideal, wir können fahren, kommen aber auch gut unter den niedrigen Brücken durch.
Weiter geht’s in den Außenhafen, bei einer Schleuse müssen wir uns zwischen einem Frachtschiff und der Schleusenwand rein bugsieren. Wir behalten genauestens den überraschend schnell steigenden Wasserstand im Blick, können schon bald wieder ausfahren und erreichen schließlich den Binnenhafen von Harburg.
Einfahrt zum Hamburger Elbtunnel
Hier werden wir schon erwartet und auf unserem Weg durch die Altstadt bis zum Archäologischen Museum Hamburg, dem Helms-Museum, begleitet. Auf 1300 m² Ausstellungsfläche schlagen die Ausstellungsmacher in den Themenwelten Werkstoff, Nahrung, Innovation, Gewalt und Mobilität eine Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und einer möglichen Zukunft. Unser Führer, der uns am Nachmittag dann auch das Werden der Stadt Hamburg von der frühmittelalterlichen Hammaburg bis zur modernen Weltstadt äußerst unterhaltsam vermittelt, scheint uns mit seinem Pflock im Ohr irgendwie auch ein lebendiges und beredsames Beispiel für einen solchen Brückenschlag.
Der Tag klingt aus mit einem wunderbaren Abendessen in den stimmungsvollen Krameramtsstuben zu Füßen des Hamburger „Michl“.
Archäologie steht wieder ganz im Mittelpunkt unserer Exkursion, wenn wir am dritten Reisetag den Steinzeitpark Dithmarschen, ein archäologisch - ökologisch ausgerichtetes Zentrum und das Museum in Albersdorf besuchen. Museumspädagogik und Experimentelle Archäologie in vielen Facetten für Jung und Alt werden hier angeboten. Besonders eindrucksvoll für uns sind dann auch die Großsteingräber und der Schalenstein von Bunsloh, der als Deckstein eines „Hünenbettes“ Verwendung fand und noch am Originalfundort zu bestaunen ist. Die geheimnisvollen Schalensteine werden allgemein mit kultischen Handlungen in Verbindung gebracht und könnten bereits im Neolithikum entstanden sein.
Wir setzen unsere Reise fort und kommen nach Meldorf im Landkreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein. Der Meldorfer Dom gehört zu den bedeutendsten mittelalterlichen Kirchenbauten an der Westküste zwischen Hamburg und dem dänischen Ribe. Der „Dom der Dithmarscher“ oder der „Meldorfer Dom“ wird liebevoll so genannt, obwohl nie ein Bischof hier residierte und er nie mehr als eine Gemeindekirche war. Namensgeber ist Johannes der Täufer. Eine 1,80 m große Figur des Johannes steht rechts vor dem Chorgitter und ist aus dem 15. Jahrhundert.
Die Kirche selbst ist aus dem 13. Jahrhundert und im Baustil der niedersächsischen Bauerngotik errichtet. Überliefert ist jedoch, dass der Gau Thetmarsgoi (Diethmarschen) eine Tauf- und Mutterkirche in Melindorp (Meldorf) schon vor Ansgars Auftreten hatte. Wir erinnern uns: im Jahr 826 begann Ansgar mit der Missionierung des Nordens von Hamburg aus!
Nur ein paar Schritte weiter liegt das Dithmarscher Landesmuseum, in dem wir uns die Regionalgeschichte vom Mittelalter bis 1867 präsentieren lassen.
Spät am Abend - es wird langsam dunkel, am Horizont heben sich die Kühltürme vom AKW Brunsbüttel vor dem Abendhimmel ab und vor uns ziehen Schiffe auf dem breiten Strom vorbei - warten wir mit unserem Bus auf die Autofähre, um über die Elbe überzusetzen. Dann ist es nicht mehr weit bis nach Stade, wo wir übernachten. Die Hansestadt Stade ist Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises in Niedersachsen. Durch das Stadtgebiet fließt die Schwinge, die kurz danach in die Elbe mündet.
Gut ausgeruht treffen wir uns am Morgen des vierten Reisetages wieder am Bus um einen Ausflug zum Museum Burg Bederkesa zu machen:
Wieder gilt es zunächst einen Fluss zu überqueren, diesmal geht es mit der Schwebefähre über die Oste. Wohlgemerkt, gesprochen wird das Ooooste! 2009 wurde die Schwebefähre 100 Jahre alt. Damals erhielt diese Baukonstruktion die Auszeichnung „Historisches Wahrzeichen der Ingenieursbaukunst in Deutschland“. Sie war bis 1974 in Betrieb. Es ist wirklich eines der Highlights unserer Exkursion, mit dieser unter einem 38 Meter hohen Gerüst hängenden Gondel den Fluss zu überqueren.
Das Museum in Bederkesa überrascht durch seine moderne Museumsgestaltung in altem Gemäuer und durch außergewöhnliche Exponate aus Holz, die der guten Erhaltung in einer Feuchtbodensituation zu verdanken sind. Ein Thron aus geschnitztem Holz, das Behältnis in der Form eines Entenvogels aus einem Bootsgrab und viele Gegenstände mehr verdeutlichen anschaulich die hohe Kunstfertigkeit und künstlerische Gestaltungskraft der Menschen in längst vergangenen Zeiten.
Wir fahren zurück, nach Südschweden, wie wir scherzhaft feststellen, denn im Dreißigjährigen Krieg um 1628 brachten die Schweden Stade in ihren Besitz. Nach einer kurzen dänischen Besatzung eroberten die Schweden die Hafenstadt 1643 endgültig und erhielten sie zusammen mit dem Erzbistum Bremen im Westfälischen Frieden von 1648 auch offiziell zugesprochen. Stade wurde schwedischer Regierungssitz der Herzogtümer Bremen und Verden. Viele Gebäude stammen aus dieser Zeit, so auch der „Schwedenspeicher“ in dem sich das Museum der Stadt und der Region befindet. Ein Museum, das sich nicht nur an Fachwissenschaftler wendet, sondern dessen Ziel erklärtermaßen die Vermittlung von Forschungsergebnissen an die kulturhistorisch interessierte Bevölkerung ist und das den Stolz auf die eigene Geschichte zum Ausdruck bringt. Es ist die letzte Station auf der Exkursion 2016 der Gesellschaft für Archäologie in Bayern.
Wir haben viel Neues erfahren, viel dazu gelernt. Wir wussten ja schon, dass es hier oben, so küstennah, Ebbe und Flut gibt, aber wir hörten nun von Geest und Marsch, von Schleusen und Wehren, von Wurthen und Warften, von Furten und Werften und wir haben verstanden, dass das Leben der Menschen in dieser Landschaft bis heute mit dem mehr oder weniger salzigen Wasser aus den Flüssen und dem Meer ganz eng verbunden ist. Dass Chancen und Risiken, Vorteile und Nachteile damit verbunden sind und dass der Mensch gelernt hat irgendwie damit zu leben. Hoffentlich auch in Zukunft….
Wir danken Willi Wagner sehr herzlich! Er hat die Reise für uns ausgetüftelt und organisiert und war unser fürsorglicher Reiseleiter während der gesamten Reise. Es war eine außergewöhnlich vielseitige und tolle Exkursion!
Gisela Mahnkopf (Text und Bilder)