Großsteingräber und Hansestädte - Exkursion nach Norddeutschland 2019
Die Jahresexkursion unserer Gesellschaft für Archäologie, die vom 18.–22. September 2019 stattfand und wie gewohnt bestens von unserem Schatzmeister Willi Wagner vorbereitet wurde, führte die 31-köpfige Reisegruppe in den Norden Deutschlands.
Die Mühen der langen Anreise über die stark frequentieren Autobahnen wurde mit dem ersten Exkursionspunkt am Harzhorn bei Kalefeld, einem der „Hotspots“ der römischen Geschichte des südlichen Niedersachsens, mehr als entlohnt. Erst 2008 trat dieser Platz am nördlichen Ende des markant in der Landschaft liegenden Vogelbergs in den Focus der Geschichte, als ein Sondengänger der Northeimer Kreisarchäologin Dr. Petra Lönne eiserne Funde vorlegte, die sich zur völligen Überraschung als Relikte aus römischer Zeit herausstellten. Darauf folgende Surveys sowie Grabungen, die über 1.700 Funde erbrachten, und ein mehrjähriges Forschungsprojekt lieferten mehr als deutliche Hinweise auf ein großes „römisch-germanisches Gefecht“ am Harzhorn.
Nach germanischen Plünderungszügen im Reichsgebiet führte der römische Soldatenkaiser Maximinus Thrax im Rahmen eines Rachefeldzugs seine Truppen, darunter syrische Bogenschützen und Teile der 4. Legion, deren Stammlager im heutigen Belgrad lag, tief ins germanische Stammesgebiet. Beim Rückweg überfielen germanische Krieger auf den Hängen des Harzhorns die römische Marschkolonne. Davon zeugen zahlreiche Funde, darunter eiserne Speer-, Lanzen- und Pfeilspitzen sowie Torsionsgeschütze, aber auch Wagenteile oder Pferdgeschirr sowie Werkzeug wie eine eiserne „dolabra“ (Spitzhacke) mit der römischen Inschrift LEG IIII S A. Sie waren in zwei mehrere Quadratkilometer großen Waldgebieten verstreut und belegen die dramatische Geschichte des germanischen Überfalls.
Nach einer Einführung im architektonisch interessant gestalteten Dokumentationszentrum führte Petra Lönne die Reisegruppe ins Gelände des ehemaligen Schlachtgeschehens, das aufgrund von Funden recht genau in die Zeit um 235/236 n. Chr. verortet werden kann. Aufgrund ihrer langjährigen Beschäftigung mit diesem bedeutenden Fundplatz konnte sie die historischen Ereignisse, aber auch den aktuellen wissenschaftlichen Sachstand mehr als authentisch vermitteln und hinterließ so bei der Reisegruppe einen bleibenden Eindruck.
Durch den wunderschönen Harz, in dem leider die großen, durch Borkenkäfer und Trockenheit hervorgerufenen Waldschäden auffielen, vorbei am Brocken und hart an der ehemaligen innerdeutschen Grenze entlang ging die Reise weiter Richtung Goslar. Der Besuch des Erzbergwerks am Rammelsberg, das mit Goslar und weiteren wichtigen historischen Plätzen in der näheren Umgebung seit 1992 in die Reihe der Weltkulturerbestätten aufgenommen ist, war ein weiterer Höhepunkt der Reise.
Nach einer Begrüßung durch Direktor Gerhard Lenz M.A. sowie die verantwortliche Montanarchäologin, Dr. des. Katharina Malek vom niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege, fuhr die mit Sicherheitshelmen ausgestattete Reisegruppe in den Berg ein. Geführt vom bestens bewanderten Historiker Dr. Hans-Georg Dettmer und unterstützt vom Archäologen Georg Drechsler M.A. ging es zu Fuß nicht nur durch viele Stollen, sondern auch durch viele Jahrhunderte Eisen-, Kupfer-, Silber- und Zinkbergbau. Neben ausführlichen Erläuterungen zur Erzgewinnung und Abbautechnik sowie spannenden geologischen Erkenntnissen, hölzernen Einbauten wie Mühlrädern, die für die Wasserzu- und -–abfuhr, aber auch für den Erzabtransport aus den Gruben notwendig waren, beeindruckte ein schmaler und niedriger, stellenweise nur gebückt durchschreitbarer Stollen, der bis ins 12. Jahrhundert zurückdatiert.
Leider reichte die Zeit nicht mehr, sich die umfangreichen Dokumentationen zum Bergbau der ehemals größten Montanregion Europas im Harz näher anzuschauen. Nach kurzem Aufenthalt in Goslar mit Blick auf die Kaiserpfalz, in die Kirche St. Jakobus und die seit Mitte des 16. Jahrhunderts evangelische Marktkirche sowie einem ersten Eindruck von der historischen Altstadt Goslars führte die Reise durch die norddeutsche Tiefebene und durch die Lüneburger Heide nach Stralsund.
Mit ungeplanter Verspätung, hervorgerufen durch einen nächtlichen Einbruch in unseren Reisebus mit zerstörter Heckscheibe, startete am Freitag die Rundreise durch Rügen, bestens geführt von der Archäologin Dr. Katrin Staude. Diese nahm sich trotz Verspätung noch viel Zeit und erläuterte die weit zurückreichende Kulturgeschichte, aber auch die Topografie und Geologie Rügens ausführlich und kurzweilig. Natürlich beeindruckten die aus der flachen Landschaft herausragenden bronzezeitlichen Grabhügel bei Woorke, die Großsteingräber bei Lancken-Granitz sowie die Kreidefelsen bei Sassnitz, wo im Nationalpark Jasmund neben einem herrlichen Ausblick auf die Ostsee auch die Reste eines slawischen Burgwalls besichtigt werden konnten.
Zurück in Stralsund gab es noch eine interessante und unterhaltsame Stadtführung. Prächtige Häuser mit aufwendig gestalteten Fassaden, Backsteingotik, soweit das Auge reicht, große Speicherbauten und Handelskontore ließen den Reichtum dieser einst mächtigen und bedeutenden Hansestadt des wendischen Hansekreises mehr als deutlich erkennen.
Die gewaltige Nikolaikirche, eine in ihren Grundzügen 1234 errichtete Hallenkirche, die nach einem Brand 1270 nach französischem Vorbild erneuert wurde, und das unmittelbar benachbarte Rathaus mit seiner kunstvoll gestalteten Blendfassade rundeten den Eindruck einer immer noch mittelalterlich geprägten ehemaligen Hansestadt ab, die mit etwa 800 erhaltenen Baudenkmälern gemeinsam mit Wismar seit 2002 zu Recht zu den Weltkulturerbestätten zählt. Ein „Absacker“ in einer der ältesten Hafenkneipen Europas mit ein oder zwei kurzen hochprozentigen „Fährwassern“ ließ einen ereignisreichen Exkursionstag gemütlich ausklingen.
Als letzter Exkursionspunkt am Samstag führte der Weg nach Lübeck. In dem 2015 am Rand des Burghügels u. a. mit Privatmitteln der Possehl-Stiftung errichteten „Europäischen Hansemuseum“ wird mit aufwendigen Inszenierungen die Bedeutung der Hanse mit ihren weit reichenden Handelsbeziehungen, ihrer Macht und ihrem Einfluss zwischen der Mitte des 12. bis etwa ins 17. Jahrhundert ausführlich dargestellt. Obwohl mit kaum einem Originalobjekt bestückt, versuchen die u. a. durch die Babelsberger Filmstudios errichteten zahlreichen Inszenierungen, Nachbauten und interaktiven Stationen einen Einblick in das Leben und Wirken dieser überregional organisierten Kaufmannsvereinigung zu vermitteln.
Höchst informativ waren dann die Ausführungen des Lübecker Stadtarchäologen und obersten Denkmalpflegers Dr. Manfred Schneider, der als versierter Kenner Lübecks den Blick vor allem auf die archäologischen und denkmalpflegerischen Aktivitäten in der Hansestadt legte. Hochinteressant waren seine Ausführungen, wie umfangreich und umfassend die Bodendenkmalpflege bei allen Bauvorhaben in Lübeck eingebunden ist und wie Kompromisse zwischen moderner Bautätigkeit und dem Erhalt alter Strukturen häufig mit konservatorischer Überdeckung gefunden wurden und werden. Drei Stunden Intensivführung reichten lediglich für ein Fünftel dieser bedeutenden mittelalterlichen Handelsmetropole, wo nicht nur die Archäologie sondern auch die zahlreichen, oft bis ins frühe 13. Jahrhundert zurückreichenden Häuser einen nachhaltigen Eindruck hinterließen.
Die Reisegruppe vor einem Großsteingrab in Lancken-Granitz
Mit vielen schönen Erlebnissen und der Gewissheit, sich das Eine oder Andere nochmals privat vertiefend anzuschauen, ging es am Sonntag auf die lange Heimreise in den bayerischen Süden. Unserem Schatzmeister Willi Wagner ist für die hervorragende Organisation der spannenden, interessanten und informativen Jahresexkursion unserer Gesellschaft für Archäologie wieder einmal ganz herzlich zu danken.
Ludwig Husty (Text)
Gisela Mahnkopf (Bilder)