Gesamtbayerische Archäologietagung in Mindelheim
vom 15. bis 17. Oktober 2021
Nachdem die für Oktober 2020 geplante Tagung „Archäologie in Schwaben“ aufgrund der Corona-Entwicklung kurzfristig abgesagt werden musste, konnte nun ein knappes Jahr später die gesamtbayerische Archäologietagung des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege (BLfD) in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Archäologie in Bayern e. V. (GfA) unter Auflagen wieder stattfinden. Tagungsort war das Forum im schwäbischen Mindelheim, der Kreisstadt des Landkreises Unterallgäu. Etwa 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, sich bei zahlreichen interessanten Vorträgen am Freitagnachmittag und am Samstag über Neuigkeiten aus Archäologie und Denkmalpflege in Bayern zu informieren und auszutauschen.
Unteres Tor und sog. Jesuitenkirche (Foto: J. Fries-Knoblach)
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Grußworte sprachen der Bürgermeister der Stadt Mindelheim, Dr. Stephan Winter, der auch kurz die geschichtliche Bedeutung der Stadt Mindelheim skizzierte, sowie Bezirksheimatpfleger Christoph Lang, Professor Dr. Bernd Päffgen als Vorsitzender der GfA und Dr. Jochen Haberstroh vom BLfD. Überschattet wurde die Tagung vom unerwarteten und viel zu frühen Tod des Landeskonservators Prof. Dr. C. Sebastian Sommer, dessen die Anwesenden in einer Schweigeminute gedachten.
Dr. Johann Friedrich Tolksdorf und Dr. Hubert Fehr informierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zunächst über Aktuelles aus der Bodendenkmalpflege in Schwaben, wobei sie unter anderem von Ausgrabungen in Aislingen und Nördlingen berichteten.
Dr. Ken Massy stellte archäologische und naturwissenschaftliche Analysen zum Lechtal vom Endneolithikum bis zur Mittelbronzezeit vor. Durch genetische Untersuchungen sowie durch Strontiumisotopenanalysen konnten an Fundstellen wie Haunstetten oder Königsbrunn teilweise Verwandtschaftsbeziehungen und eine insgesamt hohe Migrationsrate bei weiblichen Individuen festgestellt werden. So wurde nachgewiesen, dass ein auffällig hoher Prozentsatz der Frauen aus östlichen Gebieten, vermutlich aus Mitteldeutschland oder Böhmen, zugewandert war. Zudem konnten teilweise genetische Nachweise von Yersinia pestis-Bakterien, dem Erreger der Pest, erbracht werden. Diese wichtigen neuen Erkenntnisse zum ausgehenden Neolithikum und der Bronzezeit sind auch für andere Epochen von europaweiter Bedeutung und haben in verschiedenen Publikationen internationale Beachtung gefunden.
Im Anschluss an eine Kaffeepause referierte Michael Seiler M.A. über die Grabungen zum Murus Gallicus des Oppidums von Manching, die aufgrund von Baumaßnahmen zur Errichtung einer Hochwasserschutzmauer am nordöstlichen Ortsrand notwendig geworden waren. Hierbei konnte der Murus Gallicus mit einer der Mauerfront vorgeblendeten Pfostenschlitzmauer auf einer Länge von 35 m untersucht und in einem Großprofil dokumentiert werden.
Seit 2019 fanden drei Grabungskampagnen in einem Kooperationsprojekt zwischen der Stadt Kempten und der Ludwig-Maximilians-Universität München statt, deren Ergebnisse die Stadtarchäologin von Kempten, Frau Dr. Maike Sieler, präsentierte. Die archäologischen Maßnahmen wurden in der Südwestecke der Insula 1 durchgeführt. Auf dem Areal, das sich – nur durch die Thermenstraße getrennt – ganz in der Nähe des flavischen Forums befindet, wurden bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert Grabungen unter August Ullrich durchgeführt, die es mit heutigen Methoden umfassender zu untersuchen galt. Bei der Freilegung von Haus 6 und dessen Umgebung konnte neben einer westlichen und einer südlichen Portikus und einem späteren hallenartigen Anbau im Süden auch eine massive Treppenanlage beobachtet werden. Befunde aus der Zeit vor dem Bau der Insula 1 datieren noch in die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts, wie durch Profile, die teilweise bis zum gewachsenen Boden dokumentiert werden konnten, und gut datierbare stratifizierte Funde nachgewiesen wurde.
Nicole Schneider M.A. beschrieb in ihrem Vortrag das geheime Waldwerk „Justing“ in Leipheim, in dessen Fertigungsstraße während der letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs Düsenjäger vom Typ Me 262 endmontiert wurden. Dabei ging sie auch auf die Schicksale dort beschäftigter Zwangsarbeiter, vor allem aus der heutigen Ukraine, ein. Das Konzept der Stadt Leipheim zur Wissensvermittlung über dieses gut erhaltene und wichtige Zeugnis der Kriegsgeschichte, u. a. durch Informationstafeln im Wald, sieht vor, die Geschichte des Waldwerks mit seiner Rüstungsproduktion immer auch in einen Kontext mit Zwangsarbeit und den Zerstörungen im Luftkrieg zu rücken.
Ab 18 Uhr fanden mehrere Stadtführungen durch Mindelheim in kleinen Gruppen statt, die den Besucherinnen und Besuchern die wechselvolle Geschichte des 1046 erstmals urkundlich erwähnten Ortes näherbrachten. Der im 12. Jahrhundert erbauten Mindelburg wurde kurz vor der Tagung der Rang eines Denkmals von nationaler Bedeutung zuerkannt. Die Herrschaft Mindelheim befand sich im Laufe des ausgehenden Hoch- und des Spätmittelalters im Besitz der Herren von Mindelberg, der Herzöge von Teck, der Herren von Rechberg und der Herren von Frundsberg, einem ursprünglich aus Schwaz in Tirol stammenden Adelsgeschlecht, dessen berühmtester Sohn, Georg I. von Frundsberg, als „Vater der Landsknechte“ und siegreicher Feldherr der Schlacht von Pavia 1525 große Bedeutung erlangte. Nach Erbstreitigkeiten zwischen Maxlrainern und Fuggern gelangte die Stadt 1616 schließlich zum Herzogtum Bayern. Von der langen Stadtgeschichte zeugen neben hallstattzeitlichen und alamannischen Funden aus dem Stadtgebiet, die in den Museen besichtigt werden können, auch die heute noch im Stadtbild sichtbaren Tore (Abb. 1), die Stadtmauer, das Rathaus (Abb. 2), der Gefängnisturm sowie verschiedene Kirchen und Klöster wie die Stadtpfarrkirche St. Stephan, die Jesuitenkirche, die Gruftkapelle oder das Franziskanerinnenkloster. Im Anschluss lud Bürgermeister Dr. Stephan Winter die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf einen Umtrunk ins Forum ein, wo der Abend bei Gesprächen in geselliger Runde seinen Ausklang finden konnte.
Zunfthaus der Weber um 1658, seit 1783 Rathaus von Mindelheim (Foto: J. Fries-Knoblach)
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Der Samstag begann mit einem Vortag von Amira Adaileh M.A. über mesolithische Fund-Cluster im Donaumoos, bei dem sie unter anderem auf ältere und neue Chronologien des Mesolithikums sowie dessen Leitformen einging und die Möglichkeiten der Pollenanalyse im Zusammenhang mit Mooren aufzeigte. Im Donaumoos nachweisbare mesolithische Siedlungsspuren bzw. solche von Freilandstationen überlagern sich häufig und sind daher oft schwer voneinander abzugrenzen.
Dr. Christoph Steinmann stellte ein außergewöhnliches Glockenbechergrab bei Köfering im Landkreis Regensburg vor, das bei Baumaßnahmen für eine Umgehungsstraße entdeckt wurde. Die reichen Beigaben des Hügelgrabes umfassten neun Glockenbecher, elf Pfeilspitzen und vier Armschutzplatten, wohingegen keine Hinweise auf die Überreste eines dort bestatteten Individuums gefunden werden konnten. Mit seiner reichen Ausstattung und den vier Armschutzplatten weist das herausragende Grab bei Köfering Parallelen zu den Glockenbechergräbern im mährischen Hulín, etwa 70 km östlich von Brünn, oder zu dem des „Amesbury Archers“ bei Stonehenge auf.
Der anschließende Vortrag von Frau Dr. Britt Nowak-Böck hatte die römischen Lederfunde aus dem Umfeld des Kastells Dambach im Landkreis Ansbach zum Thema, die durch gezielt angelegte Grabungsschnitte im Bereich von zwei Fischweihern als zufällige Materialauswahl geborgen werden konnten. Die Referentin stellte dabei das durch die Feuchtbodenlage hervorragend erhaltene Fundmaterial vor, das vorwiegend vermutlich intentionell entsorgte Sohlen und Schuhe von Männern, Frauen und Kindern, Abfälle einer Flickschusterei sowie als Highlight eine bisher nur sehr selten belegte Schleudertasche umfasste. Besonders die größeren Schuhe wiesen in der Regel mehr oder weniger dichte Nagellöcher auf, während dies bei kleineren Kinderschuhen nicht der Fall war. Die Referentin ging zudem auf herkömmliche, aber auch neu entwickelte Methoden der Konservierung ein.
Nach einer Kaffeepause informierte Frau Dr. Ruth Sandner die Teilnehmenden über die Bestattung eines frühmittelalterlichen Reiterkriegers aus Nordendorf im Landkreis Augsburg. Das Grab enthielt neben Spatha, Sax und zugehöriger Scheide, Gürtelgarnitur, Schild und Lanze auch drei Goldblattkreuze und mediterranes bzw. sogenanntes „koptisches“ Geschirr in Form einer Bronzekanne und einer Griffschale sowie Sporen und Pferdegeschirr. In unmittelbarer Nähe fand sich auch eine Pferdebestattung, die vermutlich dem 20–40 Jahre alten und etwa 1,80 großen Reiterkrieger zuzuordnen ist. Das Grab befand sich im südlichen Bereich einer bereits 1997/98 teilweise untersuchten, vermutlich zugehörigen Siedlung, in deutlicher Entfernung zum bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannten frühmittelalterlichen Reihengräberfeld. Römischer Bauschutt in der Grabverfüllung weist auf eine vermutlich in römischer Zeit unweit gelegene, noch nicht bekannte Villa rustica an der ehemals am Ostrand von Nordendorf verlaufenden Via Claudia Augusta hin.
Frau Dr. Michaela Helmbrecht stellte in ihrem Vortrag ein Frauengrab der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts aus dem Gräberfeld in Rain am Lech vor. Unter den Beigaben fand sich bei dem stark verlagerten und unvollständigen Skelett neben einer Zierscheibe mit Elfenbeinring, einer kleinen Fibel und weiteren Artefakten auch eine besondere Wadenbindengarnitur. Außer Verzierungen im Tierstil II wiesen die beiden Wadenbindenriemenzungen jeweils zwei Darstellungen von sich gegenüberstehenden Kriegerfiguren mit Speer auf. Die Patrize, mit der die Pressbleche hergestellt wurden, muss größer gewesen sein, da die Motive auf den Riemenzungen unvollständig sind und sich am Rand fortsetzten. Im überregionalen Vergleich der frühmittelalterlichen Ikonographie lassen sich vor allem Bezüge zu ähnlichen Darstellungen auf vendelzeitlichen Helmen Skandinaviens, zum Model von Torslunda, dem Hort von Staffordshire, einer Riemenzunge aus Campochiaro und der Leier von Trossingen herstellen.
Neuer Vorstand der GfA, v. l. n. r. Ehrenamtsbeauftragte Gisela Mahnkopf, Vorsitzender Prof. Dr. Bernd Päffgen, Stellvertretende Vorsitzende Dr. Silvia Codreanu-Windauer und Ludwig Husty, Schriftführer Dr. Christian Later, Schatzmeister Wilhelm Wagner und Kassenprüferin Dr. Angelika Hofmann (Foto: J. Fries-Knoblach)
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Nach der Mittagspause folgten vier weitere Vorträge, beginnend mit Sebastian Hornung M.A. und Tobias Riegg M.A., die die archäologischen Befunde im Polder Sulzbach an der Donau vorstellten. Die Rückverlegung der Deiche und die Anlage von Flutpoldern machten hier Grabungen notwendig, bei denen zum einen Bestattungen der Schnurkeramik zu Tage kamen, deren Beigaben auf Kontakte zur Glockenbecherkultur schließen lassen. Neben Befunden und Funden aus der späten Hallstatt-, der frühen Latènezeit und der römischen Kaiserzeit konnten zudem eine Siedlung und Gräber des Frühmittelalters nachgewiesen werden.
Dr. Ralph Hempelmann referierte anschließend über neue Erkenntnisse zur Baugeschichte des Doms zu Passau, wo seit 2019 Grabungsarbeiten stattfinden. Während sich der westliche Abschluss und die Lage der Türme des romanischen Kathedralbaus gut lokalisieren ließen, konnten durch die erfolgten Grabungsschnitte keine Hinweise auf die Existenz eines frühmittelalterlichen Vorgängerbaus gefunden werden, den man nach einer Prospektion mittels Bodenradar hier vermutet hatte. Eine Datierung der Vorgängertürme ist nun erstmals durch die Freilegung von Körpergräbern möglich, die durch die Fundamente der Türme gestört werden.
Oliver Specht M.A. gab im Folgenden Einblicke in die karolingische Siedlungskammer um Hammelburg, indem er über Ausgrabungen beim Straßenbau in Langendorf im Landkreis Bad Kissingen berichtete. Das Bauvorhaben zwischen dem Langendorfer Gewerbegebiet und der A 7 machte Grabungen auf einer 220 m langen und 10 m breiten Trasse erforderlich, bei der vier Grubenhäuser sowie typische Keramik zum Vorschein kamen, die auf eine Siedlung des Früh- und Hochmittelalters schließen lassen.
Abschließend informierte Claus Vetterling M.A. über die früh-, hoch- und spätmittelalterlichen Befunde im Rathaus von Forchheim in Oberfranken. Bei Grabungen unterhalb des Rathauses kamen neben Befunden wie Öfen auch zahlreiche Artefakte, u. a. Keramikfragmente, Murmeln, Würfel, Kruseler Püppchen und Spinnwirtel zum Vorschein. Eine Besonderheit stellt zudem eine Wärmekugel dar, die ursprünglich aus dem arabischen Raum kommt und vielleicht von einem Priester verwendet wurde, um die Finger damit zu wärmen und beweglich zu halten. Insgesamt lassen sich, auch wenn die Funde und Befunde bis ins Frühmittelalter zurückgehen, bisher keine direkten Zusammenhänge mit der Forchheimer Kaiserpfalz herstellen. Dennoch sind die zahlreichen Artefakte unterhalb des Rathauses als sehr bedeutsame Funde einzuordnen.
Nach einer kurzen Pause fand die Mitgliederversammlung der Gesellschaft für Archäologie in Bayern e. V. statt. Im Anschluss an die Berichte von Vorstand, Schatzmeister und Kassenprüfer wurde der Vorstand entlastet und turnusgemäß neu gewählt. Die langjährige stellvertretende Vorsitzende, Frau Dipl.-Ing. Gisela Mahnkopf, schied dabei aus dem Vorstand aus, wurde jedoch zur Sonderbeauftragten für das Ehrenamt ernannt. Neu in den Vorstand gewählt wurde Frau Dr. Silvia Codreanu-Windauer (Abb. 3).
Ein ganz besonderer Moment war die anschließende Verleihung der nach dem Gründer der Gesellschaft benannten Rainer-Christlein-Medaille, die in diesem Jahr an den ehemaligen Kreisheimatpfleger für die vor- und frühgeschichtliche Forschung und die Bodendenkmalpflege des Landkreises Unterallgäu, Herrn Peter Hartmann, ging. Dieser hatte in seinem langjährigen engagierten Einsatz für Archäologie und Denkmalpflege Rainer Christlein noch persönlich kennengelernt. Seine Verdienste als Kreisheimatpfleger umfassen unter anderem die Entdeckung einer bisher unbekannten Glashütte bei Erisried, die von Eisenerzgruben und einer Viereckschanze im Mindelheimer Bergwald, eines Brandopferplatzes am Kohlberg oder einer spätmittelalterlichen Siedlung bei Kirchhaslach. Er hatte auch selbst am Freitagabend eine der Führungen durch Mindelheim übernommen. Mit seiner Dankesrede und abschließenden Worten von Herrn Professor Dr. Bernd Päffgen endete die Tagung.
Die für den Sonntag geplante Busexkursion konnte pandemiebedingt nicht stattfinden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten jedoch die Möglichkeit, kostenlos die verschiedenen Museen der Stadt Mindelheim zu besuchen und die Innenstadt am verkaufsoffenen Sonntag mit musikalischer Umrahmung am Marienplatz besser kennenzulernen. Mindelheim beherbergt einerseits das Südschwäbische Archäologiemuseum, das Schwäbische Krippenmuseum, das Textilmuseum Sandtner-Stiftung und die Carl-Millner-Galerie im ehemaligen Jesuitenkolleg. Darüber hinaus war auch das Schwäbische Turmuhrenmuseum für Besucherinnen und Besucher geöffnet.
Karin Eben